EU-Kommission im Kreuzfeuer der Pestizid-Lobby

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Berlin (ots) – Pestizidkonzerne und die USA üben massiv Druck auf die
EU-Kommission aus und untergraben europäische Ziele für eine umwelt- und
sozialgerechte Landwirtschaft

Pestizidhersteller wie Bayer, BASF und Syngenta versuchen durch massiven
Lobbyismus zu erreichen, dass Lebensmittel, die mit in der EU verbotenen
Pestizidwirkstoffen produziert wurden, weiterhin nach Europa importiert und
verkauft werden dürfen. Auch dann, wenn die Produkte mit Rückständen dieser
Stoffe belastet sind.

Das geht aus einem heute veröffentlichten Report der Brüsseler
Nichtregierungs-Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) hervor. Die
darin zitierten öffentlichen Dokumente und Protokolle zeigen detailliert auf,
wie Industrievertreter, aber auch Staaten wie die USA oder Kanada, seit 2016
wachsenden Druck auf die EU-Kommission ausüben. Sie wollen erreichen, dass die
in der EU geltenden Kriterien zur Risikobewertung von Pestiziden abgeschwächt
und Ausnahmeregelungen für „Cut-Off-Pestizide“(1) erlassen werden, die in der EU
aufgrund von Gesundheitsrisiken (Hormonstörungen, Krebs u.a.) verboten sind.

EU-Kommission offenbar eingeknickt

Der Druck hat offenbar Wirkung gezeigt: Im Jahr 2017 hatte die Kommission dem
Wunsch nach Importtoleranzen für „Cut-Off-Pestizide“ noch eine klare Absage
erteilt, da diese ein „inakzeptables Risiko für die menschliche Gesundheit“ mit
sich brächten. Doch ein Jahr und dutzende Lobby-Termine später hatte die
Kommission teilweise eingelenkt.

Sie legte einen Kompromissvorschlag vor: Dem gefahrenbasierten Ansatz(2) der EU
folgend, soll in einem ersten Schritt künftig die erlaubte
Rückstandshöchstgrenze für „Cut-Off-Pestizide“ automatisch auf Null gesetzt
werden, sobald ein Pestizid aufgrund von Gesundheitsrisiken die Zulassung
verliert. In einem zweiten Schritt hätten nun aber – dem risikobasierten Ansatz
der USA folgend – Drittstaaten die Möglichkeit, Importtoleranzen zu beantragen
und auf eine erneute Anhebung der Rückstandshöchstgehalte hinzuwirken. Ob diese
gewährt werden, würde die EU dann nach einer systematischen Risikobewertung von
Fall zu Fall entscheiden. Damit hat die EU-Kommission die Hintertür für künftige
Importtoleranzen weit aufgestoßen.

Schützenhilfe von der Deutschen Bundesregierung

Wie der CEO-Report ebenfalls aufdeckt, leistete die Deutsche Bundesregierung
„Schützenhilfe“ beim Lobby-Feldzug gegen die europäischen Pestizidregularien. In
einem internen Briefing aus der Generaldirektion Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit bei der EU-Kommission ist zu lesen, dass Deutschland sich
neben sechs weiteren Staaten für einen „ausschließlich risikobasierten Ansatz“
in Bezug auf Importtoleranzen für „Cut-Off-Pestizide“ aussprach. Wenn das
stimmt, hat sich die Bundesregierung damit entgegen eigener Zielvorgaben auf die
Seite der Pestizidkonzerne und der Freihandelsinteressen der USA gestellt, statt
die Interessen der europäischen Verbaucher*innen und Landwirt*innen zu
verteidigen und sie vor Gesundheitsrisiken und unfairem Wettbewerb durch
importierte Billig-Lebensmittel zu schützen.

Fall Clothianidin: EU-Parlament lehnte Importtoleranzen klar ab

Der Vorstoß der EU-Kommission bei den Importtoleranzen steht auch im Widerspruch
zu einer Entscheidung des EU-Parlaments im Fall des verbotenen Wirkstoffs
Clothianidin. Clothianidin ist eines von drei Neonicotinoiden, die im April 2018
aufgrund ihrer unmittelbaren Gefahr für Bienen in der gesamten EU für den
Freilandanbau verboten wurden. 2013 hatte die EU-Kommission die Genehmigung der
Wirkstoffe aus demselben Grund bereits erheblich eingeschränkt. Dagegen hatten
die Hersteller Bayer und Syngenta geklagt. Der seitdem laufende Rechtsstreit
wird aktuell in letzter Instanz vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt. Als
unabhängige „Anwältin der Bienen“ wirkt die Aurelia Stiftung an den
Gerichtsprozessen aktiv mit und setzt sich aufseiten der EU-Kommission für ein
striktes und dauerhaftes Verbot der Neonicotinoide ein.

Konträr zu ihren eigenen Interessen in diesem Rechtsfall präsentierte die
EU-Kommission im November 2018 überraschend einen Vorschlag zur Anhebung der
EU-Lebensmittelgrenzwerte für Clothianidin. Der Vorschlag der Kommission
erfolgte auf einen Antrag aus Kanada für eine entsprechende Importtoleranz. Das
Europäische Parlament legte allerdings sein klares Veto gegen diesen Vorschlag
ein und erinnerte die Kommission ausdrücklich an das Vorsorgeprinzip als eine
„fundamentale Leitlinie der Union“ und auch daran, dass Clothianidin verboten
wurde, weil es Bienen und Bestäuber „auf einer globalen Skala“ schädigt.

Aurelia fordert Bekenntnis der EU zu schrittweisem Pestizidausstieg bis 2035

Thomas Radetzki, Vorstand der Aurelia Stiftung, sagt: „Die Aurelia Stiftung
setzt sich seit Jahren für eine ökologische und bienenfreundliche Landwirtschaft
ein und hat erfolgreich an dem Verbot der Neonicotinoide mitgewirkt. Wir halten
die zwiespältige Haltung der EU-Kommission zu Importtoleranzen für
Cut-Off-Pestizide und die daraus erfolgenden Nachteile für die europäischen
Landwirte und Verbraucher für inakzeptabel. Deshalb fordern wir die
EU-Kommission auf, sich klar zum gefahrenbasierten Ansatz und zum
Vorsorgeprinzip zu bekennen. Außerdem muss die Kommission endlich einen
konsequenten Pestizidausstiegsplan vorlegen, wie wir ihn mit der aktuell
laufenden Europäischen Bürgerinitiative ‚Bienen und Bauern retten‘ einfordern.“

Jan Hellberg, Biologe und Projektleiter bei der Aurelia Stiftung, erklärt: „Wenn
Ausnahmen für die Einfuhr von Lebensmitteln aus Drittländern möglich sind, die
mit in der EU verbotenen Cut-off-Pestiziden belastet sind, wird damit der Weg
für fragwürdige Billig-Lebensmittel aus dem EU-Ausland freigemacht. Die von der
EU-Kommission selbst geforderte Umstellung auf eine nachhaltige
Nahrungsmittelproduktion, wie bei der Farm-to-Fork-Strategie des Green Deals
angekündigt, werden dadurch konterkariert. Eine ähnlich inkonsistente Haltung
haben wir bereits beim Versuch erlebt, die Import-Grenzwerte für Clothianidin
anzuheben. Derartige Importtoleranzen würden nicht nur eine umweltschädigende
Landwirtschaft in den Herkunftsländern begünstigen, sondern auch das vor Kurzem
erlassene Teilverbot bienenschädigender Neonicotinode untergraben. Der Druck auf
die europäischen Landwirte durch Billigimporte ist schon jetzt hoch und würde
dadurch noch zunehmen.“

Zum CEO-Report „Toxic Residues Through The Backdoor“:
www.corporateeurope.org/en/2020/02/toxic-residues-through-back-door

Mehr Informationen zur Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“:
www.aurelia-bienenundbauern.de

(1) Die gesundheitsbezogenen Cut-Off-Kriterien der EU-Pestizidverordnung (EG)
Nr. 1107/2009 schließen Chemikalien mit erbgutverändernden, hormonstörenden,
fortpflanzungsschädigenden oder krebserregenden Eigenschaften von der Zulassung
als Pestizide aus. Damit soll verhindert werden, dass besonders
besorgniserregende Stoffe in die Lebensmittelkette gelangen.

(2) Der gefahrenbasierte Ansatz der EU unterschiedet sich vom ausschließlich
risikobasierten Ansatz der USA, denn er basiert auf dem in den EU-Verträgen
verankerten Vorsorgeprinzip, welches die USA ablehnen. Diesem Ansatz folgend,
sollten Pestizide in der EU nur dann zugelassen werden, wenn inakzeptable
Gesundheits- und Umweltrisiken durch wissenschaftliche Untersuchungen
ausgeschlossen werden können. Internationale Chemiekonzerne und die USA
attackieren seit langem den gefahrenbasierten Ansatz. Dieser würde zu
„Handelsverzerrungen“ führen.

Pressekontakt:

Florian Amrhein (Leitung Presse- & Öffentlichkeitsarbeit):
florian.amrhein@aurelia-stiftung.de – Tel.: +49 (0)30 577 00 39 66
– Mobil: +49 (0)176 34 51 52 07

Weiteres Material: https://www.presseportal.de/pm/134345/4521799
OTS: Aurelia Stiftung

Original-Content von: Aurelia Stiftung, übermittelt durch news aktuell

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